Samstag, 02. Mai 2015

Besuch von Roland Jahn: „Am Ende kommt es auf die eigene Verantwortung an.“

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Das Gymnasium Maxdorf wird zum Museum. Am 27.04.2015 erhielt unser Gymnasium Besuch von Prof. Dr. Maria Böhmer, Bundestagsabgeordnete und Staatsministerin im Auswärtigen Amt, und dem ehemaligen DDR-Bürger und jetzigen Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagenbehörde Roland Jahn.

Gemeinsam eröffneten sie die Ausstellung „Stasi - Was war das?“, für die Frau Böhmer als Ausstellungsort das Gymnasium Maxdorf ausgewählt hatte, um interessante Fakten zum Thema DDR und Staatssicherheit für alle Interessierten zugänglich zu machen.

Als Einladende spricht Prof. Dr. Maria Böhmer selbst über diesen einen Moment, in dem einem der Atem stockt, weil man erfahren hat, dass es sich bei einer Person, die man kennt, um einen Mitarbeiter der Staatssicherheit handelt.  Für sie ist es wichtig, dass man die Vergangenheit kennt, um zu schätzen was man heute hat.

Nach einleitenden Worten durch Prof. Dr. Maria Böhmer und Frau Neumann-Kirchstein erzählt
Roland Jahn als ehemaliger DDR-Bürger, Oppositioneller und Bürgerrechtler von seiner Jugend in der DDR und seinen Erfahrungen mit der Staatssicherheit.

„Man hat sich angepasst, ohne dass es einem bewusst war“, erzählt Roland Jahn. Um Abitur zu machen und studieren zu können, war es eben notwendig, dass man zum Militär geht. Man wurde in gewisser Weise gezwungen. So wie Roland Jahn gezwungen war, zur Bereitschaftspolizei zu gehen. Unter Freunden hat man diskutiert, ob das der richtige Weg ist, ob man im schlimmsten Fall zur Grenze gehen muss und auf einen Flüchtling trifft, auf einen Flüchtling den man kennt.

Doch um zu studieren, musste man mitmachen und Kompromisse eingehen, erklärt Jahn. Man hat sich untergeordnet. Letztendlich war man für sich selbst verantwortlich. Im Studium angekommen äußerte Jahn seine Meinung und sollte von der Universität „entfernt“ werden. Eine Seminargruppe bestehend aus seinen Freunden sollte über seine neu verfasste Stellungnahme entscheiden und somit über sein zukünftiges Leben bestimmen. „Die Wahl fiel deutlich aus, 13 zu 1 – gegen mich“, berichtet Jahn. Obwohl seine Freunde ihm am Tag zuvor noch ihre Stimme zugesagt hatten, stimmten nun fast alle gegen ihn.

Nach 36 Jahren trifft Jahn auf einen dieser Kommilitonen, der damals gegen ihn gestimmt hatte. Ein Stasi-Offizier habe mit seinem Rauswurf gedroht, erzählte ihm der alte Studienfreund. Jahn kann ihn verstehen. Er denkt an seine Familie und an die Karriere seines Vaters, die zerstört worden wäre, hätte er für einen Freund gestimmt, der sich gegen den Staat geäußert hat. Am Ende ist man eben doch für sich selbst verantwortlich, betont Jahn. Doch ein Freund hatte für Jahn und gegen dessen Rauswurf gestimmt. Ihm ist nichts passiert. Jahn erklärt, dass dies die Unberechenbarkeit der DDR war.

Der Auslöser für Jahns Meinungsäußerung kam 1981 als Freunde von ihm auf dem Weg zu einer Geburtstagsfeier nach Berlin aus dem Zug geholt wurden, da der Parteitag in Berlin nicht gestört werden sollte. Sie wurden in ein Gefängnis gebracht, in dem einer der Freunde bereits nach 48 Stunden erhängt aufgefunden worden war. Hier merkte Jahn, dass es um Leben und Tod geht, seine Risikobereitschaft war gestiegen.

Ob er bereut, dass er seine Meinung gesagt hat? Jahn erklärt, er habe sich öfters gefragt, ob sein Weg der richtige war, denn seine Familie musste dafür zahlen. Als Jahn ins Gefängnis kam, nach Protesten in Westdeutschland frühzeitig nach 6 Monaten freigelassen und zwangsausgebürgert wurde, wurden auch seine Eltern für das Verhalten ihres Sohnes bestraft. Das Lebenswerk des Vaters, der Aufbau eines Fußballvereins, wurde zerstört, da er der Vater eines Sohnes war, der sich gegen das Regime geäußert hatte. Jahn hat sich oft gefragt, ob er nicht hätte mehr Rücksicht nehmen können. Rücksicht auf seine Familie.

Die Gefangenschaft erlebte Jahn als psychisch sehr belastend. Mitten in der Zelle befand sich ein Klo und man fühlte sich als würde man auf einer Toilette leben, berichtet Jahn. Weiter erzählt er, dass er zu dieser Zeit auch sehr verletzlich war. Man habe ihm klar gemacht, dass er die Einschulung seiner damals dreijährigen Tochter nicht erleben wird. Nach seiner vorfristigen Freilassung wurde er direkt zwangsausgewiesen.

Die Ausbürgerung aus dem Osten nach West-Berlin war nicht nur ein Aussperren aus der DDR, sondern auch ein Aussperren aus seiner Heimat. Geknebelt und in einem Zug abtransportiert wurde Jahn von seinen Freunden und von seiner Familie getrennt. In den ersten Jahren gab es keine Kommunikation mit der Familie, erst später konnte er telefonisch Kontakt aufnehmen. Seine Mutter durfte später auch in den Westen einreisen – jedoch nur um Jahn im Auftrag der Stasi davon zu überzeugen, dass er die Berichterstattung, die er im Westen fortgeführt hatte, bitte unterlassen soll. Sogar der Schulweg der Tochter wurde observiert.

Vor seiner Ausbürgerung wurde auch Jahn von der Stasi darauf angesprochen, ob er nicht etwas über seine Freunde erzählen wolle. Im Gegenzug bekäme er einen Studienplatz. „Die haben es drauf gehabt, die Leute einzuwickeln“, erklärt Jahn. Doch er lehnte ab.

Heute ist Jahn Bundesbeauftragter für die Stasiunterlagenbehörde und findet es sehr wichtig zu erfahren, was im Hintergrund passiert ist. Die Menschen wollen Klarheit haben und die Akten nutzen, um etwas zu erfahren. „Wir haben all das überlebt und wir haben es irgendwie überstanden und es geändert“, so Jahn über die Zeit in der DDR. Heute kann man sich Freiheit nehmen, die Voraussetzungen sind da. „Wichtig ist, dass die Menschen etwas daraus machen“, erklärt er.  

Die Veranstaltung war für alle Schüler/innen sehr interessant und eindrucksvoll. Durch die offenen und ausführlichen Antworten des Zeitzeugens Roland Jahn konnten wir einen sehr realistischen und einprägsamen Eindruck über das Leben in der DDR gewinnen.

Man war geschockt über die Vorgehensweise und das Verhalten der Stasi und verließ die Veranstaltung mit einem bedrückenden Gefühl. Wir hoffen natürlich, auch weiterhin solche interessanten und offenen Gäste bei uns in der Schule zu Gesprächen mit den Schüler/innen begrüßen zu dürfen.

Ein exklusives Interview mit Roland Jahn erscheint in der nächsten Ausgabe der Maximal.

Weitere Informationen

  • geschrieben von: Hannah Rothenberger & Julia Lubos
  • Fotos: Herr Müller-Gräf

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